175 Jahre Männergesangverein Bad Ischl 1845

Vom Vormärz1 ins digitale Zeitalter

Historiker Mag. Dr. phil. Michael Kurz

 

Entwicklung der Gesangsvereine

 

In der ersten Hälfte des 19. Jhdts. herrschte ein weitgehendes Versammlungsverbot, die Zensur war allgegenwärtig und die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Nur unter hohen Auflagen durften Vereine oder Vereinigungen gegründet werden. Ein kleines gesellschaftliches Ventil bildeten die – unter strenger behördlicher Beobachtung stehenden – Gesangsvereine. Kein geringerer als der allmächtige Staatskanzler Metternich, der sich im Sommer gerne in Ischl aufhielt, stellte dazu fest: “Halten Sie mir ja dieses Gift aus Deutschland nieder!“ Die Sänger-Bewegung schwappte von Deutschland nach Österreich über und galt als liberal, ja antiösterreichisch. 

 

Trotzdem konstituierten sich in den 1830er Jahren zaghaft die ersten Vereine. Der erste bekannte war 1833 der Sängerbund Haslach, es folgte 1834 Gmünd/Kärnten, 1841 Innsbruck, 1843 der Wiener Männergesangverein, 1844 „Sängerlust Steyr“, 1844 die Liedertafel Frohsinn in Linz und der MGV Salzburg usw. Der Ischler Männergesangverein, gegründet von eifrigen und honorigen Bürgern, die dem 1838 gegründeten Musikverein nahestanden, 1845 (in der Namensliste der Gründungsmitglieder finden sich hierorts bestens bekannte wie Doktor Brenner, v. Lidl, Attwenger, Mannberger, Ramsauer und Schweizer), war vermutlich der 14. Verein seiner Art im heutigen Österreich. Unter J. E. Schlier, einem Schüler Michael Haydns, wurden ab Oktober 1845 in "Hubertus Kaffeehaus" (heute Café Ramsauer) die ersten regelmäßigen "Gesangsübungen" abgehalten. Ab dann kam es vermehrt zu Gründungen. 1846 wurden sechs, 1847 zehn Vereine ins Leben gerufen.2 Von 1848 bis 1851 – nach der Revolution – gab es eine kurze Phase der Freiheit, die für Gründungen günstig war. Die meisten Sänger mussten jedoch bis zum Erlass des Vereinsgesetzes 1867 warten, das alle Schranken beseitigte. 1872 verzeichnete der „Sängerbund für Oberösterreich und Salzburg“ 24 Mitglieder, u.a. Braunau, Hallein, Ried, Schärding, Wolfsegg, Freistadt, Mondsee und Rohrbach.3

 

Vereinsstatuten 1860 (Archivfoto Dr. Michael Kurz)
Vereinsstatuten 1860 (Archivfoto Dr. Michael Kurz)

 

Die ersten genehmigten Statuten erhielt der Männergesangverein Ischl 1853, 1860 wurden sie geändert und 1874 zeitgemäß dem Vereinsgesetz 1867 angepasst.4

 

Musikalisches Umfeld im Salzkammergut

 

Der Ischler Musikverein, gegründet 1838, legte seine Statuten schon im August 1840 vor. Er war stets mit dem MGV eng verknüpft. Dem ersten Gesangsverein in Ischl schlossen sich schon 1846 Gmunden, 1848 Ebensee, Aussee 1857, Goisern 1859, St. Wolfgang 1878 und Altmünster 1889 an. 

 

Eine etwas frühere Entwicklung ist bei Musikkapellen festzustellen, die erste war die Bürgermusikkapelle Goisern 1834, dann die Salinenkapelle Hallstatt 1837, Traunkirchen 1844, Ebensee 1848, Ischl 1851 und Altaussee 1852. Den musikalischen Vereinen folgten in den 1860er Jahren die Turnvereine, Feuerwehren (nach dem Brand von Ischl 1865) und Veteranenvereine (nach der Schlacht von Solferino 1859).

 

Vereinsfahne zum 90-jährigen Jubiläum (Foto Hofer Bad Ischl)
Vereinsfahne zum 90-jährigen Jubiläum (Foto Hofer Bad Ischl)

Die Fahne des Männergesangvereins

 

Die erste Fahne des MGV ist der Revolution von 1848 zu verdanken. In der Vereinschronik ist dazu zu lesen: „In den Jahren 1847 und 1848 fanden mit Rücksicht auf die politischen Verhältnisse keine geregelten Übungen statt.“5

 

Viele Mitglieder des MGV waren in der neu geschaffenen Nationalgarde tätig, u.a. auch der langjährige Präses Dr. Josef Brenner. Als Kommandant der Nationalgarde fungierte Graf Wilhelm von Sickingen, der sich in Ischl ein standesgemäßes Domizil erbaut hatte (später Starhemberg, an Stelle des heutigen Ischler Gymnasiums). Seine Gattin Elisabeth stiftete der tatkräftigen Bürgergarde die Fahne. Nach Aufhebung der Nationalgarden kam die Fahne 1854 in Besitz des MGV: „Ein Verein ohne Fahne ist ein gar trübseliges Ding; und eine solche anzuschaffen, war der vom Klavierankauf geschwächten Kasse nicht zuzumuten. Da gedachte der Vorstand der schönen Fahne, welche seinerzeit Frau Eveline Gräfin Sickingen der Nationalgarde gespendet hatte. Gerne willfahrte die liebenswürdige Dame der an sie gestellten Bitte, dem Gesangsverein die Fahne zu überlassen und die Stelle der Fahnemutter zu übernehmen. Die frühere Inschrift wurde durch den Sängergruß ersetzt und so nimmt unter den zahlreichen Fahnen, welche bei Sängerfesten erscheinen, die unsere durch ihre reiche, kostbare Goldstickerei noch heute einen ersten Rang ein.“6

 

Dieses Prunkstück diente dem Verein bis zu seinem 90. Jubiläum, ehe sie 1935 durch eine neue ersetzt wurde: „Da die aus dem Jahre 1845 stammende Vereinsfahne infolge ihres ehrwürdigen Alters gebrauchsunwürdig geworden war, haben sich auf Anregung von Frau Käthe Braumandl und Frau Dr. Hermine Koch die Frauen Bad Ischls zusammengetan und dem Verein eine neue wunderschöne Fahne übergeben.“7  Sie ist noch heute eine Zierde des Vereinslebens.

 

Ein Rauchverbot spaltet den Verein

 

Sicherem Vernehmen nach kam es Ende der Fünfzigerjahre zu einer argen Spaltung, nachdem die jüngeren Mitglieder infolge eines Antrages des Vorstandes Ferdinand von Lidl, es möge während der Proben nicht geraucht werden, austraten und auf eigene Faust im Kaffeehause die Gesangsübungen fortsetzten. 

 

Im Februar 1861 gründeten 18 Widerspenstige einen eigenen Verein, wo sie mit den Zuständen abrechneten: „Die unwürdige Schulmeisterei,… die totale Nichtberücksichtigung der billigsten Wünsche der Mitglieder, statt gemütlicher Unterhaltung Pedanterie, Übergriffe der Vereinsleitung, die bis zur Maulsperre ausarteten“, zwangen zur Abspaltung.  Im gleichen Jahr jedoch kam es wieder zur Versöhnung, die Abtrünnigen kehrten zurück, um „in Zukunft mit vereinten Kräften und in brüderlicher Eintracht in der Pflege des deutschen Gesanges im Vereine tätig zu sein“.8

 

Offenbar wagte man erst wieder 1939 einen erneuten Anlauf, die Vereinsabende rauchfrei zu gestalten: „Ab 15. November wurde mit den alkohol- und nikotinfreien Proben eingesetzt, was sich sehr rasch einbürgerte.“9

 

Vereinsmitglieder 1913 (Foto: Karoline Schodterer)
Vereinsmitglieder 1913 (Foto: Karoline Schodterer)

 

 

Der Männergesangverein

und seine auswärtigen Beziehungen

 

Der Ischler Männergesangverein stand in regem Austausch mit Gleichgesinnten. „Sängerfeste“ vereinten die Musikliebhaber aus allen Regionen, schon zum Sängerfest 1851 in Passau reisten einige Ischler an, würdig waren sie auch beim bislang größten Fest in Nürnberg 1861 vertreten: „Vom 19. bis 24. Juli 1861 fand das große, von 5000 Sängern (284 Gesangsvereine) besuchte Sängerfest in Nürnberg statt, an welchem sich der Ischler Verein mit der Vereinsfahne betheiligte.“ Zumindest sieben Ischler begleitet von drei Sängern aus Goisern nahmen mit „grünen Hüten, die mit Gamsbärten geziert waren“ teil.10

 

Der Ischler Gesangverein erfreute sich österreichweit höchster Beliebtheit, weshalb auch gerne andere Liedertafeln zu Gast waren. Die erste bedeutende Gesellschaft besuchte Ischl schon 1856: „Am 10. September nachmittags war Jung und Alt, Hoch und Niedrig in freudiger Bewegung nach der Salzburgerstraße. Die hiesige Liedertafel hatte beschlossen, den von Salzburg über Ischl nach Wien zurückkehrenden Wiener Gesangsverein eine Strecke außer Ischl zu erwarten, mit dem Sängergruß mit fliegender Fahne zu empfangen, dann unter klingendem Spiele unserer Salinen-Musikbande nach dem Casino zu führen. So langten endlich um 6 ½ Uhr abends die Wägen mit unseren lange freudig erwarteten Sänger-Gästen an, sogleich entfaltete auch die Wiener Liedertafel ihre prachtvolle Fahne und gaben sich beide Vereine den Gruß.“11 Nach einem musikalischen Abend und Ständchen für Erzherzog Franz Karl wurde noch lange der Sangeskunst gehuldigt, ehe die Wiener Ischl am nächsten Vormittag per Schiff verließen. 1874 besuchten Mitglieder der „Bürgerlichen Sängerzunft München“ Ischl, was Gelegenheit zum freundschaftlichen Austausch gab. 

 

Knapp 20 Jahre nach dem ersten Aufenthalt kehrten die Wiener Sänger wieder nach Ischl zurück. Von 14. bis 16. August 1877 boten zahlreiche Musikliebhaber aus der Hauptstadt ihren Ischler Gesinnungsfreunden ihren Gruß. Das Besondere dabei war, dass die Mitglieder der Gesellschaft die ersten waren, die die gerade in Bau befindliche Eisenbahn benutzten: „In Ebensee wurde ein seltsamer Eisenbahntrain mit herausgeputzten Lowries bestiegen und von der Locomotive in 40 Minuten nach Ischl geschoben. Auf der Strecke gegen Ischl zu begleiteten Dynamitschüsse den Zug bis zum festlich geschmückten und beflaggten Bahnhofe. Vertreter der Harmonie und der Kunst waren somit die ersten, die auf dem neuen Schienenweg nach Ischl kamen.“12  Das ganze Salzkammergut war in Bewegung, am nächsten Tag stand ein Besuch Hallstatts auf dem Programm, ein unvergessliches Erlebnis für alle Beteiligten.

 

Wohltätiges Wirken

 

Das gesellschaftliche Engagement der wackeren Sänger ist kaum zu überschätzen, wenn Not am Mann war, versagten sie nie ihre Hilfe. In der Vereinschronik ist schon 1852 von Wohltätigkeitskonzerten für die Abgebrannten von Aigen und für die Kinderbewahranstalt und das Krankenhaus 1854 zu lesen. Die Veranstaltungen wurden in den Zeitungen gut beworben.

 

1865 gab es u.a. Wohltätigkeitskonzerte für arme Schulkinder, für die Abgebrannten von Admont und Radstadt und natürlich für die Unglücklichen des Ischler Brandes im Juli des Jahres. „[Der] Verein war jederzeit bestrebt, seine Kräfte der Wohltätigkeit zu weihen und kühn darf man sagen, dass durch ihn tausende Gulden humanitären Zwecken zugeführt wurden. Für Überschwemmte, für Abgebrannte, für eine neue Orgel in unserer Pfarrkirche, für arme Familien, für andere humanitäre Anlässe war der Verein jederzeit zu tatkräftiger Hilfe bereit.“13 

 

1895 konnte der Verein stolz auf insgesamt ca. 10.000 Gulden verweisen, die mildtätigen Absichten zugeführt werden konnten.14

 

Wohltätigkeitskonzert 1857 (Archivfoto Dr. Michael Kurz))
Wohltätigkeitskonzert 1857 (Archivfoto Dr. Michael Kurz))

 

Patriotische Musikanten

 

Ihre patriotische Gesinnung stellten die Ischler Sänger stets unter Beweis. Bei kaum einer Feier des Kaiserhauses fehlte der Verein und brachte oftmals sehr zur Erbauung der allerhöchsten Familie ein Ständchen dar. „Bei jedem freudigen Ereignisse, das im Kaiserhause stattfand, arrangierte der Gesangsverein eine Festvorstellung, z. B. am 4. Oktober 1849 als Franz Josef I. seinen ersten Namenstag als Kaiser in Ischl zubrachte, am 27. März 1853 zur Feier der Genesung nach dem Attentate, am 24. April 1854 zur Hochzeit des Kaiserpaars, am 11. März 1855 zum Geburtsfest des ersten Kindes des hohen Paares, am 27. April 1868 zur Geburtsfeier der Prinzessin Marie Valerie, am 2. Dezember 1873 zum 25. Regierungsjubiläum des Kaisers, am 24. April 1879 zur silbernen Hochzeit des Herrscherpaares und am 21. Mai 1881 zur Vermählung unseres so früh verstorbenen Kronprinzen Rudolf. Bei all diesen Vorstellungen wurde auf der festlich dekorierten Bühne nach vorhergegangenem Prolog vom Gesangsverein die Volkshymne gesungen.“ 15

 

Höhen und Tiefen im Vereinsleben 

 

Neben vielen Höhepunkten kam es oft auch zu Zwistigkeiten und Querelen, deren Ursache wir heute nicht mehr kennen, die aber aus der langen Distanz der historischen Betrachtung unfreiwillig komisch wirken: „[1880] Es war wieder einmal schwüle im Vereine. Kleine Intriguen und Uneinigkeit unter den Mitgliedern drohten den gedeihlichen Fortbestand zu gefährden, 12 Mitglieder traten aus, 5 neue Mitglieder wurden aufgenommen und mit einem Stand von 21 Sängern wurde das Vereinsjahr eröffnet, welches sich nach einem gefallenen Antrage auf Sistierung der Übungen trotz allem in Bezug auf Thätigkeit im Vereinsleben würdig dem früheren anreihte. Gegenüber den lauen Probenbesuchen wurden scharfe Maßregeln getroffen. Wer nach ½ 8 Uhr zur Probe kam, zahlte 10 kr, wer unentschuldigt ausblieb, 20 kr. Strafe.“ 16

 

Die nächste Generalversammlung stand unter keinem guten Stern, verärgert hält der Schriftführer fest: „ Die Feder sträubt sich, einigermaßen den Ursachen auf den Grund zu gehen, die für den Verein diese Situation herbeigeführt hatten. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sei die Thatsache nicht verschwiegen, dass die Mitglieder des Vereines sich in einer argen Zerfahrenheit befanden. Die guten Beziehungen zum Musikverein hatten sich stark ins Gegentheil verwandelt, ohne dass man, abgerechnet einiger persönlicher Nörgeleien, so recht wusste warum.“ 17

 

Benefizkonzert 1908 (Archivfoto Dr. Michael Kurz))
Benefizkonzert 1908 (Archivfoto Dr. Michael Kurz))

Nach einer ersten kurzlebigen Abspaltung in den 1860er Jahren kehrten 25 Sänger 1907 nach anhaltenden Unstimmigkeiten dem Männergesangverein den Rücken und gründeten die „Bürgerliche Liedertafel“. Nach der kriegsbedingten Probeneinstellung 1914 kehrten die Abweichler jedoch wieder in den Mutterschoß zurück. Die verbliebenen 22 Mitglieder der Liedertafel stießen in der Hauptversammlung 1919 wieder zu ihren Sangesgenossen: „Und nun verkündete Herr Häuptner in schwungvollen Worten ein denkwürdiges Ereignis, den vollzogenen Zusammenschluss des Ischler Männergesangvereins mit der Bürgerlichen Liedertafel, welcher länger schon beiderseits gewünscht war und nun im Zeichen der jungen Republik Deutschösterreich glücklich zustandegekommen ist. Herr Häuptner erinnerte daran, dass der Ischler Männergesangverein im kommenden Jahre auf seinen 75jährigen Bestand zurückblicken könne. Schließlich begrüßte er den Zusammenschluss mit einem dreifachen Sängerheil.“ 18

Wachstums- und Schrumpfungsphasen sind eben in einem Vereinsleben unumgänglich, besonders wenn man auf 175 Bestandsjahre verweisen kann. Dies belegt ein Überblick über die Mitglieder.

 

Die Jubiläumsfeiern des Vereines waren meist für ganz Ischl ein Fest. Den ersten runden Geburtstag feierte man 1895, was Anlass zur Führung einer Chronik gab, der 60. Ehrentag 1905 war der letzte in der Monarchie. Erst wieder 1920 konnten die Sänger behutsam an das 75. Gründungsfest denken, das 90. Bestandsjahr motivierte die Anschaffung der noch heute existierenden Vereinsfahne.

 

„Goldener Stern“(um 1900 (Archivfoto Dr. Michael Kurz)
„Goldener Stern“(um 1900 (Archivfoto Dr. Michael Kurz)

 

Die Proben wurden in vielen verschiedenen Ischler Gastronomiebetrieben abgehalten, am längsten intonierten die Sänger ihre Lieder jedoch im Vereinslokal „Goldener Stern“ (heute Raiffeisenbank).

 

Der Verein im Spiegel

weltgeschichtlicher Ereignisse

 

So oft der Ischler Männergesangverein bei wichtigen Anlässen mitwirkte, spiegelten sich natürlich auch umgekehrt historische Begebenheiten im Vereinsalltag wider. 

 

Zwar verhielt sich die Gesellschaft – trotz vieler einflussreicher Mitglieder – betont unpolitisch: „Die Politik spielte nie eine Rolle in diesem Verbande gut deutsch gesinnter Männer, selbst die Sturm- und Drangperiode des ereignisreichen Jahres 1848 zog an ihm spurlos vorüber. Die revolutionären Lieder, wie sie die Agitatoren jener gährenden Zeit in Umlauf brachten, fanden bei ihm keinen Anklang.“19 Zu den Feierlichkeiten zur Verkündigung der Verfassung 1848 steuerten die Sänger jedoch die musikalische Umrahmung bei und auch 1849 fehlte nicht ihr Beitrag: „Im März 1849 betheiligte sich der Verein bei der Publicierung des Constitutions-Patentes durch Vortrag einiger Chöre im Wirer Garten.“ 20

 

Der Erste Weltkrieg riss Lücken in die Reihen der Sänger: „In der Hauptversammlung 1919 ... gedachte man zunächst der Herren Lazzeri, Krieger, Bursik und Rothauer, welche den Heldentod gefunden hatten, ... worauf man sich zum Zeichen der Trauer von den Sitzen erhob, man gedachte ferner auch den Herren Hanns Völgyfy und Josef Gottwald, sowie Herrn Stadlmann, welche sich noch in italienischer bzw. russischer Gefangenschaft befanden.“ 21

Die hohe Solidarität der Vereinsmitglieder zueinander äußerte sich besonders 1920, als der seit Jahren in Gefangenschaft befindliche Sangesbruder Josef Gottwald wieder in die Heimat zurückkehrte: „Am 18. November 1920 hatte der Verein die große Freude, sein lang entbehrtes, durch 6 Jahre in russischer Gefangenschaft befindliches Mitglied, Herrn Josef Gottwald, in Bad Ischl begrüßen zu dürfen. Der Verein, welcher fast vollständig am Bahnhof erschien, begrüßte ihn mit Worten herzlichen Willkommens unter Absingung unseres Begrüßungsmottos.“ 22

 

Das politische Umfeld trübte 1934 auf die ausgelassene Faschingslaune: „Am Faschingsonntag (11.2.1934) fand im Vereinsheim ein Familienabend mit nettem Programm statt. Leider war die Stimmung durch die inzwischen eingetretenen Ereignisse in Linz bereits etwas gedrückt… Die Februarunruhen unterbrachen dann überhaupt den Probenbetrieb, der zwar später wieder aufgenommen wurde, jedoch sehr unter den gespannten allgemeinen Verhältnissen litt.“ 23

 

Wie viele begrüßte auch der Männergesangverein die Angliederung Österreichs an das Deutsche Reich: „Am 13. März 1938 ging der Traum und die Sehnsucht der Ostmark in Erfüllung, es erfolgte der Anschluss an das großdeutsche Reich. Für die Sänger, die das deutsche Lied pflegten und die sich durch das deutsche Lied schon immer verbunden fühlten, war der Zusammenschluss … eine Fülle großer Freude …“ 24

 

 

Bald jedoch wich die Anfangseuphorie der Ernüchterung: „Im Zeichen des Krieges begann [das Vereinsjahr 1939/40], im Zeichen des Krieges endete es; während die Zahl der zu den Fahnen gerufenen sich auf 18 Sangeskameraden erhöhte, betrug die Zahl der im Verwaltungsdienst Stehenden (Fliegerwache Siriuskogl) drei… Die Standeserhebung vom 9. Jänner 1940 ergab einen Mitgliederstand von 52 Sängern, von denen damals sechzehn Frontdienst und zwei Verwaltungsdienst versahen.“ 25

 

Mit der fortschreitenden Totalisierung des Kampfes stand 1943 gar eine behördliche Auflösung des als kriegsunwichtig betrachteten beschaulichen Vereines zur Debatte, was der damalige Schriftführer verbittert als Verrat betrachtete: „Kulturträger haben zwar immer damit zu rechnen, dass ihre Leistungen im öffentlichen Leben, namentlich aber seitens politischer Mandatare nie voll gewürdigt werden, man nimmt den Verein her, wenn man ihn gerade braucht, im übrigen wird er als bürgerliches Überbleibsel gewertet. Das beweist die beabsichtigte Auflösung aller Gesangsvereine, die aber katastrophale Folgen gehabt hätte. Das deutsche Lied war es neben der deutschen Turnerei, die auch in den schwersten Zeiten den völkischen Gedanken immer wach gehalten und so den Boden für einen glatten Zusammenschluss vorbereitet haben. Es wäre sonach der schnödeste Undank, solche Vereinigungen wie ein stumpf gewordenes Werkzeug ablegen zu wollen.“ 26

 

Fußnoten: 1 Unter „Vormärz“ versteht man die Zeit vor dem März 1848, der Revolution / 2 Boisits, Barbara (2013): Musik und Revolution: Die Produktion von Identität und Raum durch Musik in Zentraleuropa 1848/49. Wien, S. 320 / 3 Salzburger Zeitung, 27. März 1872 / 4 Die Statuten sind zu finden unter: OÖLA, Statthalterei-Archiv, Präsdium, Vereine 1851-1853, Sch. 156 / 5 Festschrift 1895 / 6 Ebda / 7 Vereinschronik 1935 / 8 Festschrift 1895 / 9 Vereinschronik 1939 / 10 Festschrift 1895 / 11 Ischler Fremdensalon, 13. September 1856 / 12 Vgl. Festschrift 1895 und Jahrbuch des Wiener Männergesangvereines 1877 / 13 Ischler Wochenblatt, 14. Mai 1905, verfasst von Franziska Krupitz / 14 Festschrift 1895 – laut https://www.eurologisch.at/docroot/waehrungsrechner/#/ (Zugriff 27.01.2020) entspricht dies einer heutigen Kaufkraft von € 140.000,- / 15 Ischler Wochenblatt 14.5.1905 / 16 Vereinsjahr 1880/81, Festschrift 1895, 20 Kreuzer entsprechen heute € 2,50 / 17 Vereinschronik 1881 / 18 Vereinschronik 1919 / 19 Ischler Wochenblatt, 14.5.1905 / 20 Erbchronik bzw. Festschrift 1895 / 21 Vereinschronik 1919 / 22 Vereinschronik 1920 / 23 Tätigkeitsbericht 1933/1934 / 24 Vereinschronik 1938 / 25 Vereinschronik 1939 / 40 / 26 Tätigkeitsbericht 1943